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Fokus Erziehung

«Entwickeln muss sich das Kind selbst»

Jedes Kind hat seinen eigenen Lebensweg – und sein eigenes Tempo, ihn zu gehen. Die Heilpädagogische Früherzieherin Manuela Fehr Slongo erklärt im Interview, wie Eltern es am besten begleiten.

«Entwickeln muss sich
das Kind selbst»

Jedes Kind hat seinen eigenen Lebensweg – und sein eigenes Tempo, ihn zu gehen. Die Heilpädagogische Früherzieherin Manuela Fehr Slongo erklärt, wie Eltern es am besten begleiten.

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Manuela Fehr Slongo (47) hat Sozialpädagogik, Klinische Heilpädagogik und Heilpädagogische Früherziehung studiert. Nach Abschluss ihres Studiums war sie bei unterschiedlichen Therapiestellen und heilpädagogischen Diensten als Heilpädagogische Früherzieherin tätig und hat von 2013 bis 2018 die Geschäftsstelle des schweizerischen Berufsverbands für Heilpädagogische Früherziehung geleitet. Seit zehn Jahren arbeitet sie für den Heilpädagogischen Dienst St.Gallen-Glarus. Fehr Slongo ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 16 und 18 Jahren.

Manuela Fehr Slongo, wie unterscheidet sich die Heilpädagogische Früherziehung von anderen Therapieangeboten wie Logopädie?

Manuela Fehr Slongo: Heilpädagogische Früherziehung umfasst alle Entwicklungsbereiche. Sie betrachtet das Kind als Ganzes. Zudem versteht sie sich nicht als Therapie, sondern als Förderangebot. Es geht nicht darum, einen Zustand «zu verbessern» oder «zu heilen». Sie will Kinder und Eltern dabei unterstützen, individuelle Lösungen und Strategien zu finden, um ihren Alltag zu meistern.

Wie unterstützen Sie Eltern konkret?
Ich helfe ihnen, zu verstehen, wo ihr Kind in seiner Entwicklung steht, warum gewisse Dinge (noch) nicht funktionieren und was es braucht, um sich weiter entfalten zu können. Als Heilpädagogische Früherzieherin bringe ich ihnen quasi bei, genauer hinzuschauen, womit sich ihr Kind beschäftigt und was es interessiert. Durch dieses Beobachten lernen sie ihr Kind noch besser kennen – und finden so leichter Zugang zu ihm. Sie sind die wichtigsten Partner im Hinblick auf den Erfolg der Heilpädagogischen Früherziehung.

Häufig arbeitet die Heilpädagogische Früherziehung darauf hin, dass das Kind selbstständig handeln, kommunizieren
und sich in eine Gruppe integrieren kann. Bild: Adobe Stock

Wie definieren Sie Erfolg bei Ihrer Arbeit?
Der sieht immer anders aus. Das Ziel ist es aber in jedem Fall, dem Kind zu ermöglichen, die nächsten Entwicklungsschritte zu wagen und sich so eine möglichst grosse Teilhabe an einem möglichst normalen Alltag zu erobern. Das können ihm weder der/die Heilpädagogische Früherzieher:in noch die Eltern abnehmen. Entwickeln muss sich das Kind selbst.

Was bedeutet eine «möglichst grosse Teilhabe an einem möglichst normalen Alltag»?
Auch das hängt vom Kind ab. In den meisten Fällen geht es darum, ein Kind dahingehend zu fördern, dass es möglichst selbstständig handeln, mit anderen kommunizieren und sich so in eine Gruppe integrieren kann. Also ihm Fähigkeiten «beizubringen», die Grundvoraussetzung für Kindergarten- und Schuleintritt sind.

Heilpädagogische Früherziehung

Heilpädagogische Früherziehung (HFE) ist ein freiwilliges Angebot, das sich an Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten richtet und an solche, deren Entwicklung
gefährdet ist. Auffälligkeiten können sich in der geistigen, sprachlichen, motorischen, emotionalen, sozialen und/oder Wahrnehmungsentwicklung zeigen. Die HFE versucht, diese Kinder zu fördern und ihre Eltern bei allen Fragen zur Entwicklung und Erziehung zu beraten. Die Dauer richtet sich nach dem Entwicklungsstand des Kindes und den Bedürfnissen der Eltern.

Sie sagen, jedes Kind, jede Familie sei anders. Gibt es dennoch Dinge, die alle Eltern beschäftigen, mit denen Sie arbeiten?
Dass ihr Kind sich nicht so entwickelt, wie sie es erwarten, sorgt bei vielen für Druck. Manche fragen sich irgendwann, ob es an ihnen liegt, dass ihr Kind nicht am gleichen Punkt steht oder gleich reagiert wie Gleichaltrige. Das rührt nicht zuletzt daher, dass sie – wenn das Kind beispielsweise in einem gewissen Alter noch nicht spricht oder mit seinem Verhalten aneckt – manchmal mit bösen Blicken von aussen konfrontiert sind. Oder mit Sätzen wie «Sie müssen das nur so und so machen, dann klappt das». Weil ihr Kind besondere Voraussetzungen hat, helfen ihnen Allgemeinplätze wenig. Sie verletzen vielmehr.

Lifehacks eines Profis

Weniger ist mehr. Auch ein Kind mit Behinderung braucht ein paar klare Regeln. Sie sollten möglichst positiv formuliert und am besten visuell unterstützt
sein. Eine Regel könnte lauten: Wir ziehen die Schuhe am Eingang aus. Als Hilfe kann man über dem Schuhregal ein Foto auf hängen, wie es aussehen sollte.

Alles zu seiner Zeit. Ein mehr oder weniger ritualisierter Tagesablauf ist wichtig. Dieser sollte verlässlich sein, aber nicht durchgetaktet. Das Kind muss Zeit zum Spielen haben und Möglichkeiten, sich zu entspannen.

Allen ihre Zeit. Ein ritualisierter Tagesablauf gibt Eltern – im Hinblick auf Förderung – auch die Chance, sich jeden Tag bewusst 15 bis 20 Minuten einzuplanen, um sich hinzusetzen und zu beobachten, womit sich ihr Kind beschäftigt, und sich ganz auf diese Begegnung einzulassen. Und nicht zuletzt: sich auch Zeit für sich selbst zu nehmen.

Offline online. Ein bewusster und begrenzter Konsum von digitalen Medien ist wichtig – für Kinder und Eltern. Im besten Fall ist das Handy aus, wenn
das Kind wach ist. Vor allem Kleinkinder, die (noch) nicht sprechen können, suchen den Blickkontakt mit den Eltern, wenn sie etwas erlebt haben. Wenn diese «Mitteilung» unbeantwortet bleibt, weil Mami oder Papi aufs Handy fixiert sind, suchen sie diesen Kontakt irgendwann nicht mehr. Das wirkt sich auf die
Entwicklung aus.

Wie sollten Eltern mit solchen Situationen umgehen?
Wie Eltern in Momenten, in denen eine Verletzung passiert, reagieren – ob sie innerlich auf Durchzug schalten oder sich wehren –, müssen sie für sich entscheiden. Wichtig ist allerdings, Kränkungen nicht einfach zu ignorieren und nicht alles zu schlucken, sondern darüber zu reden, mit einem vertrauten Menschen oder einer/e Therapeut:in. Die Vogel-Strauss-Politik ist langfristig ungesund. Denn sie werden immer wieder in Kontakt kommen mit verletzenden Verhaltensweisen. Auch heute noch.

Sprich: es bräuchte noch mehr Sensibilisierung.
Richtig. Aber: Das ist nicht die Aufgabe dieser Eltern. Sie müssen mit Leuten, die sie in ihrer Unwissenheit oder Überforderung verletzen, nicht reden, um die Gesellschaft weiterzubringen. Sie sind nur dafür verantwortlich, dass es ihnen und ihrem Kind gut geht.

Adressen rund um die Erziehung von Kindern mit Behinderung

Procap-Onlinemeetings
In der Onlineserie «Flügge – Leben mit einem Kind
mit Behinderung» von Procap geben Eltern und Fachpersonen Inputs zu unterschiedlichen (Erziehungs-) Themen wie etwa «das Zuhause», «die
Diagnose» oder «die Flegeljahre». Anschliessend tauschen die Teilnehmer:innen in Diskussionsgruppen Erfahrungen aus. Die Meetings finden via Zoom alle
zwei Wochen, jeweils am Mittwoch von 20 bis ca. 21 Uhr, statt.
www.procap-zuerich.ch

Weiterbildung für Eltern
Buk, der Verein für Bildung und Unterstützte Kommunikation, bietet Kurse rund um die Themen Unterstützte Kommunikation, Behinderung und Entwicklung
an. Fachleute und Eltern können sich zu Themen wie entwicklungstheoretische Grundlagen der Wahrnehmung, der Kognition, der Sensomotorik, der Emotionen
und der frühen Kommunikation weiterbilden.
www.buk.ch

Für Eltern blinder Kinder
Wie kann ein blindes Kleinkind in seiner Entwicklung unterstützt werden? Diese Website gibt wertvolle Anregungen:
www.anderes-sehen.de

Forum für betroffene Eltern
In diesem Onlineforum können betroffene Eltern Fragen stellen, Erfahrungen austauschen und Tipps abholen. Die Themen sind vielfältig.
www.dasanderekind.ch

Eltern helfen Eltern
Der Verein intensiv Kids bietet Hilfe zur Selbsthilfe für Familien mit komplex erkrankten Kindern und jungen Erwachsenen mit speziellen Bedürfnissen.
www.intensiv-kids.ch

Womit wir beim Thema Selbstfürsorge wären.
Genau. Die geht leider allzu oft vergessen, weil viele so beschäftigt sind damit, bei ihrem Kind möglichst alles richtig zu machen. Sich Zeit für sich und seine Partnerschaft zu nehmen, fällt Eltern mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen meist besonders schwer. Sie haben oft Hemmungen, das Kind abzugeben, weil sie wissen, wie viel Kraft die Betreuung braucht. Und das wollen sie ihren Eltern oder Freund:innen nicht «zumuten».

Wie können sie dieses Dilemma überwinden?
Ein erster Schritt ist, zu realisieren, dass auch sie ihr Kind abgeben dürfen, oder sogar müssen. Denn Selbstfürsorge ist für Väter und Mütter im Allgemeinen wichtig – für solche mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen im Besonderen. Denn egal, wie viel Gutes man dem Kind tut: Wenn es einem dabei selbst nicht gut geht, geht gar nichts.

Interview: Michaela Ruoss Fotos: AdobeStock, zVg, Vera Markus

Beratungs- und Unterstützungsangebote der Stiftung visoparents

Elternchat «SehenPlus»
Der Elternchat «SehenPlus» der Stiftung visoparents richtet sich an Eltern und Angehörige blinder, seh- und mehrfach behinderter Kinder im Vorschul- und Teenageralter, die sich über WhatsApp austauschen und vernetzen möchten. Eltern-Treffs werden nach Bedarf vor Ort organisiert. Anmeldung unter: elternundfachberatung@visoparents.ch

Eltern-Treff «Autismus»
Der Eltern-Treff Autismus richtet sich an Eltern von Kindern mit
einer Autismus- oder Verdachtsdiagnose, die sich gerne austauschen
und vernetzen möchten. Dieses Angebot ist kostenlos und
wird von einer Fachperson der Eltern- und Fachberatung der Stiftung
visoparents geleitet. Anmeldung unter: elternundfachberatung@visoparents.ch

Kostenlose Elternberatung
Die Elternberatung der Stiftung visoparents hilft bei Fragen zur Erziehung
eines Kindes mit komplexen Bedürfnissen weiter. Auch steht sie Eltern bei Gesprächen mit Schulen, Behörden oder Sozialversicherungen bei. Kostenlos und unverbindlich. www.visoparents.ch/beratung

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