Lohn für die
Pflege des
eigenen Kindes
Seit rund fünf Jahren dürfen sich pflegende Angehörige über eine Spitex anstellen lassen und erhalten so einen Lohn für ihre Arbeit. Das neue Modell entlastet betroffene Familien finanziell. Eine Anstellung sollte aber sorgfältig geprüft werden.
In der Schweiz pflegen schätzungsweise 600 000 Personen ihre Angehörigen. Ohne dieses grosse Engagement könnten Familien und unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Um die erforderliche Pflege zu leisten, stecken die Angehörigen aber oft im Beruf zurück oder geben ihn ganz auf – mit weitreichenden finanziellen Folgen. Seit einem Bundesgerichtsentscheid im Jahr 2019 dürfen sich Angehörige die Pflegearbeiten bezahlen und sich über einen Spitex-Betrieb anstellen lassen. So sind sie finanziell besser abgesichert.
Eine, die dies getan hat, ist Anouk Brunschwiler. Sie arbeitet zu 40 Prozent als HR- und Payroll-Managerin, ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Bei ihrem jüngsten Sohn, Andrin (8), wurde im Alter von zwei Jahren das FoxG1- Syndrom diagnostiziert. Dabei handelt es sich um einen seltenen Gendefekt, der dazu führt, dass Andrins heutiger Entwicklungsstand dem eines einjährigen Kindes gleicht. Er benötigt viel Pflege und Hilfe bei alltäglichen Tätigkeiten, und auch im Familienleben dreht sich vieles um Andrin. Die Geschwister sowie der Papa kümmern sich liebevoll um den Jungen. Die Hauptverantwortung liegt aber bei der Mutter.
Vor zwei Jahren hat sie sich bei einer Spitex-Organisation anstellen lassen und erhält seither für die Pflege ihres Sohns einen Stundenlohn sowie Sozialversicherungsbeiträge. Ihr Arbeitspensum wurde von der Spitex berechnet, es sind 48 Prozent. Entlöhnt werden ausschliesslich Pflegeleistungen wie füttern, Zähne putzen, baden, eincremen sowie das Anziehen der Orthesen. Dass sie für ihren Sohn aufgrund einer Intoleranz laktosefrei kochen muss, wird beispielsweise nicht abgegolten. Auch die zahlreichen Betreuungsstunden nicht. Trotzdem ist Anouk Brunschwiler froh um diese Anstellung. «Der Lohn, den ich als pflegende Angehörige erhalte, ist natürlich nie so hoch wie der in meinem eigentlichen Job. Er ist aber dennoch ein guter Zustupf für das Familienbudget und letztlich wichtig für meine Altersrente», sagt sie und ergänzt: «Ich möchte beruflich für die Zukunft abgesichert sein, falls mein Mann, der aktuell den grösseren Teil des Einkommens beiträgt, erkranken oder den Job verlieren sollte. Oder falls wir uns – was ich nicht hoffe – einmal trennen sollten. Mir ist es wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen.» Ein schlechtes Gewissen, dass sie für ihre Arbeit einen Lohn bezieht, hat die Mutter zu Recht nicht: «Würde mein Kind in einem Heim betreut, wären die Kosten für die Gesellschaft viel höher.»
Spitex-Vergleich lohnt sich
In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Organisationen, die pflegende Angehörige anstellen, stark gestiegen. Die Konditionen sind nicht einheitlich geregelt. Wer sich anstellen lassen möchte, tut deshalb gut daran, die Anbieterinnen genau unter die Lupe zu nehmen und mehrere miteinander zu vergleichen. Insbesondere folgende Aspekte sollten pflegende Angehörige vor einer möglichen Anstellung prüfen:
- Wie hoch ist der Stundenlohn? Der Bruttostundenlohn für pflegende Angehörige variiert je nach Region und Spitex stark. Die meisten bezahlen 34.30 Franken – das entspricht dem IV-Assistenzbeitrag. Einzelne Anbieterinnen bezahlen jedoch bis zu 37 Franken.
- Welche Sozialleistungen werden bezahlt? Fortschrittliche Arbeitgeberinnen passen bei Teilzeitangestellten den Koordinationsabzug proportional an. Dadurch ist der versicherte Lohn höher als bei einem vollen Koordinationsabzug. Auch relevant ist, zu welchen Anteile Arbeitgebende die Sozialbeiträge einzahlen.
- Welche Unterstützung erhalten pflegende Angehörige? Die meisten Organisationen betreuen ihre Angestellten umfassend, dazu gehören etwa regelmässige telefonische Beratungsgespräche, persönliche Besuche zu Hause sowie Schulungen.
- Welche Arbeiten werden bezahlt? Die Spitex legt fest, welche Arbeiten in welchem Pensum erledigt werden müssen. Oft sind die pflegenden Angehörigen zudem dazu verpflichtet, ihre erbrachten Pflegeleistungen täglich zu dokumentieren.
- Sind Weiterbildungen Pflicht? Oft ist ein Grundkurs Pflicht. Einige Arbeitgeberinnen bieten eigene Kurse an. Manchmal sind sie offeriert, manchmal kostenpflichtig.
Weitere Infos für pflegende Angehörige
Wer Angehörige zu Hause pflegt, ist gefordert. Auf der Website des Schweizerischen Roten Kreuzes finden Sie wichtige Infos zum Thema:
www.betreuen.redcross.ch
Fachlich und emotional gut aufgehoben
Die Spitex, bei der Anouk Brunschwiler angestellt ist, bietet ihren Angestellten regelmässige telefonische Beratung durch eine ausgebildete Pflegefachperson an. Einmal monatlich besucht die Care Managerin die Familie auch persönlich, um aktuelle Herausforderungen zu besprechen. «Der regelmässige Austausch nimmt mir tatsächlich viel Arbeit ab, da mir die Pflegefachfrau jeweils spezifische Fragen beantwortet und viele praktische Tipps gibt, etwa in Bezug auf allergenfreie Windeln oder passende Hilfsmittel», so Brunschwiler. Zudem ist der persönliche Austausch für die Mutter wichtig. Denn obwohl sich die Gespräche oft um Andrins Pflege drehen, vergisst die
Pflegefachfrau nie, auch Anouk Brunschwiler zu fragen, wie es ihr denn gehe. «Es tut oft echt gut, diese ehrliche Frage zu hören», sagt sie.
Vorsicht vor Kürzungen
Dass pflegende Angehörige Lohn beziehen können, ist relativ neu. Deshalb sind manche Aspekte dieses Arbeitsverhältnisses noch nicht klar geregelt. Wichtig ist: Wer sich bei einer Spitex-Organisation anstellen lässt, ist dazu verpflichtet, die IV-Stelle darüber zu informieren. Eine Anstellung führt dazu, dass allfällige Assistenzbeiträge gekürzt werden oder ganz wegfallen, da die Grundpflegeleistungen
der Spitex nach Krankenversicherungsgesetz (KVG) beim Assistenzbedarf abgezogen werden.
Irja Zuber, Anwältin bei der Rechtsberatung von Procap Schweiz, rät, sich vor einer potenziellen Anstellung über die finanziellen Aspekte genau zu informieren. Sie sagt: «Wenn die zu pflegende Person beispielsweise eine Hilflosenentschädigung bezieht, kann es auch sein, dass die Kranken-kasse, die die Spitex-Anstellung vergütet, einen Teil der Hilflosenentschädigung anrechnet. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich, und jede Familie sollte es im Vorfeld individuell abklären.» Die Rechts-anwältin befürwortet die Anstellung pflegender Angehöriger grundsätzlich. Sie gibt aber zu bedenken, dass es nicht für alle das Richtige ist. «Ich rate unseren Klientinnen und Klienten, die Vor- und Nachteile gut abzuwägen und individuelle Lösungen zu suchen. Manchmal kann auch eine externe Pflege die richtige Wahl sein, wenn es darum geht, Angehörige zeitlich und/oder emotional zu entlasten.» Procap bietet Beratung zur Anstellung von pflegenden Angehörigen sowie weitere Infos auf ihrer Website an, auch die SVA Zürich kann bei Fragen weiterhelfen.
Beratungsstellen
Quellen und Infos: Bundesamt für Gesundheit BAG, Manual «Pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen», Careum Hochschule Gesundheit
Text: Regula Burkhardt
Fotos: zvg