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Fokus: Wohnen

Selbstbestimmt wohnen dank Technik

Sonel Zehir trotzt ihrer Glasknochenkrankheit und zieht im Alter von 41 Jahren in ihre erste eigene Wohnung in einem Hochhaus in Baden. Eine technisch ausgeklügelte Umfeldsteuerung hilft ihr dabei, möglichst selbstständig zu sein und in ihrem Zuhause selbstbestimmt ein und aus zu gehen.

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Selbstbestimmt wohnen
dank Technik

Sonel Zehir trotzt ihrer Glasknochenkrankheit und zieht im Alter von 41 Jahren in ihre erste eigene Wohnung in einem Hochhaus in Baden. Eine technisch ausgeklügelte Umfeldsteuerung hilft ihr dabei, möglichst selbstständig zu sein und in ihrem Zuhause selbstbestimmt ein und aus zu gehen.

Den Wunsch hegt sie schon längere Zeit: Sonel Zehir möchte eigenständig leben, einen eigenen Haushalt führen und ihre Wohnung nach ihrem Geschmack einrichten. Allerdings plagen sie Zweifel und Fragen: Wie soll das mit ihrer Beeinträchtigung funktionieren? Zehir, die 1982 in Baden zur Welt kam, hat die Glasknochenkrankheit.

Bald wird ihr Wunsch in Erfüllung gehen. Allerdings ist der Weg in eine eigene Wohnung ein langer. Nach ihrer Schulzeit absolviert sie eine Bürolehre in Zürich, später lebt sie nicht nur im Wohnhuus Bärenmoos in Oberrieden, Kanton Zürich, sondern arbeitet dort auch zweimal pro Woche am Empfang. 2017 kehrt sie zurück in den Aargau und wohnt nun im Zeka, einer Institution für Menschen
mit körperlichen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Fünf Jahre bleibt sie da, aber mehr und mehr kommt besagter Wunsch auf, selbstständig und selbstbestimmt zu leben. Gerade in Zeiten von Corona sind die Umstände schwierig. Sie sehnt sich nach weniger Regeln, mehr Freiheit. Eine Freundin, die mit einer Muskelerkrankung in einer eigenen Wohnung lebt, ermuntert Sonel Zehir schliesslich, die Initiative zu ergreifen.

«Ich will mein eigener Boss sein!»

Der lebensfrohen Frau ist trotz der schönen Perspektiven eines stets bewusst: Wenn sie in eine eigene Wohnung einzieht, muss sie auch gewisse Risiken tragen. «Ich benötige beispielsweise Assistenzpersonal, und es ist nicht einfach, solche Personen zu finden», sagt Zehir. Schliesslich entschliesst sie sich trotzdem, es zu wagen, denn sie hat ein grosses Ziel vor Augen: «Ich will mein eigener Boss sein!» Sie hat Glück. In Baden findet sie eine Wohnung in einem Neubau. Zudem geht die Bauherrschaft auf ihre Bedürfnisse ein. Das ist wichtig, denn nebst zuverlässigem Personal braucht Zehir eine Wohnung, die baulich so angepasst ist, dass sie mit ihrem Elektrorollstuhl keine Hindernisse überwinden muss. Ebenso wichtig ist die Umfeldkontrolle. Diesbezüglich wendet sie sich an Florian Blattner. Er arbeitet als Fachbereichsleiter Technik bei Active Communication, einem Unternehmen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Als Erstes kümmert er sich darum, dass Sonel
Zehir überhaupt Zugang zum Hochhaus hat. Das heisst: Blattner sorgt dafür, dass sie mit einer Fernbedienung die Haustür öffnen und den Lift bedienen kann. Mit demselben Gerät kann sie ihre Wohnungstür entriegeln. Ein Knopfdruck genügt, und die Tür öffnet sich automatisch.

Steuerung mit dem Handy

Auch drinnen, in ihrer gut 90 Quadratmeter grossen Wohnung, die sie seit Februar 2023 bewohnt, profitiert Sonel Zehir von einem ausgeklügelten Hausautomationssystem. Es ist so etwas wie ein Schlüssel zur Selbstständigkeit. Mit ihrem Handy kann sie verschiedene Geräte steuern: das Licht an- und ausmachen, die Storen rauf- und runterlassen, die Balkontür öffnen oder im Schlafzimmer das
Kippfenster bedienen. Hemmungen vor der Technik hat sie keine, sie ist affin und interessiert daran, wie das ganze System funktioniert. Und sie hat mit Florian Blattner einen Berater, der sie diesbezüglich schult und ihr Sicherheit gibt. Die gesamte Steuerung erfolgt über eine App auf ihrem Smartphone und funktioniert sogar im Ausland. Sollte das Smartphone kaputt gehen, kann die App auch auf einem Ersatzgerät installiert werden. «Mit dem Einbau dieser Umfeldsteuerung hat mir Active Communication zu einem grossen Stück Freiheit verholfen», sagt Sonel Zehir, «ich geniesse es total, in den eigenen vier Wänden zu leben und tun und lassen zu können, was ich will.» Und: «Das ist mein Zuhause, mein Paradies.»

Gefunden hat sie übrigens mittlerweile auch Assistenzpersonen, die sie durch den Tag begleiten. Die Spitex hilft ihr jeweils morgens aus dem Bett, mittags steht eine Person im Einsatz, abends eine zweite, und eine dritte übernimmt den Nachtdienst.

Eine unternehmungslustige Frau

Sonel Zehir verfügt über eine gehörige Portion Unternehmungslust. Letztes Jahr besuchte sie mehrere Male die Badenfahrt, das grosse Volksfest in Baden. Sie unternimmt aber auch gerne ausgiebige Shoppingtouren oder trifft sich mit Freund:innen und Verwandten zum Essen.

Florian Blattner stellt mit Genugtuung fest, dass sich seine Arbeit einmal mehr gelohnt hat: «Sonel gewinnt dank unserer Konzeptlösung deutlich an Selbstständigkeit und ist auf weniger Assistenzleistungen angewiesen», sagt er und fügt an: «Besonders anspruchsvoll an diesem Projekt war das Zusammenspiel mehrerer involvierter Parteien, von Bauherrschaft über Invalidenversicherung und Elektriker bis zu Active Communication. Aber ich freue mich, dass es so gut geklappt hat und wir gemeinsam eine tolle Lösung erarbeitet haben.»

Umfeldsteuerung in verschiedenen Ausführungen

Eine selbstständige Steuerung des Umfelds ist wichtig für die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen. Umfeldsteuerungssysteme, auch Assistive Technologien genannt, ermöglichen das Bedienen von Telefon, Licht, Türen, Fenstern, Unterhaltungselektronik, schaltbaren Steckdosen sowie weiteren Geräten und Medien. Je nach Anforderung und Grad der Behinderung können Umfeldsteuerungen über grosse, leichtgängige und übersichtliche Tasten, per Sprachbefehl, Smartphone, mit einem Saug-Blas-Schalter oder via Rollstuhljoystick bedient werden.

Finanzierung
In der Schweiz wird die Implementierung von Umfeldsteuerungen oft von der Invalidenversicherung (IV) bezahlt, da diese Technologien für Menschen mit Behinderungen für ein möglichst selbstbestimmtes Leben wichtig sind. In einzelnen Fällen helfen auch Stiftungen, gemeinnützige Organisationen, der Kanton oder die Gemeinden, bei der Finanzierung. Active Communication bietet Beratung im Bereich Umfeldsteuerung und Schnittstellen an:
www.activecommunication.ch

Text: Peter Birrer
Foto: Jonas Pfister

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