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Fokus: Mentale Gesundheit

Wie Jugendliche stark, mutig und entspannt werden

Gute Selbst- und Sozialkompetenz tragen zu einem gelungenen Miteinander in der Gesellschaft und zu einem zufriedenen Leben bei. Im Resilienzkurs der Stiftung Bühl werden Jugendliche mit einer kognitiven Behinderung deshalb entsprechend gefördert und lernen zudem, wie sie mit Stress umgehen können.

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Wie Jugendliche
stark, mutig und
entspannt werden

Gute Selbst- und Sozialkompetenz tragen zu einem gelungenen Miteinander in der Gesellschaft und zu einem zufriedenen Leben bei. Im Resilienzkurs der Stiftung Bühl werden Jugendliche mit einer kognitiven Behinderung deshalb entsprechend gefördert und lernen zudem, wie sie mit Stress umgehen können.

«Stark, mutig und entspannt» mit diesem Titel laden Sozialpädagoge Beat Schmid und Sozialpädagogin Carmen Bachmann zum «Kompetenzkurs zur Resilienzstärkung» in der Stiftung Bühl ein. Das Ziel: Jugendliche mit einer kognitiven Behinderung erweitern ihre sozialen Kompetenzen und lernen, auf andere Menschen zuzugehen. Und sie üben, wie sie sich besser mitteilen können. Dadurch erlangen sie mehr Selbstbestimmtheit, höhere Lebenszufriedenheit und letztlich eine stabilere psychische Verfassung.

Die Stiftung Bühl befindet sich auf einem weitläufigen Areal am Stadtrand von Wädenswil. Sie bietet Sonderschulen und Berufsbildung für Kinder und Jugendliche mit einer kognitiven Behinderung oder Lernbehinderung an. Einige Schüler:innen besuchen den Unterricht nur tagsüber, andere wohnen auf dem Schulareal in betreuten Wohngemeinschaften. Sozialpädagoge Beat Schmid arbeitet seit zehn
Jahren in der Stiftung Bühl. Ein Teil seines Arbeitsauftrags besteht darin, die Kids in den erwähnten Resilienzkursen auf das Leben als junge Erwachsene vorzubereiten und ihnen zu zeigen, wie sie mental gesund bleiben, aber auch ihr Leben in die eigenen Hände nehmen können. Schmid erklärt: «Die Fähigkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und soziale Interaktionen zu gestalten, ist für eine gute Lebensqualität wichtig. Gerade diese Fähigkeiten sind aber bei Kindern und Jugendlichen mit einer kognitiven Behinderung oder einer Lernschwäche manchmal nicht ausreichend vorhanden. Das erschwert es ihnen wiederum, soziale Beziehungen in positiver Weise aufzubauen und zu pflegen. Das Risiko, dass sie daraus ungesunde Verhaltensweisen entwickeln, sich etwa zurückziehen, Ängste entwickeln oder aggressiv und wütend werden, ist deshalb erhöht. Auch die Gefahr, dass sie in ihrem Leben einmal von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, ist doppelt so hoch wie bei anderen Jugendlichen.» Mit dem Resilienzkurs will Schmid die jungen Erwachsenen stärken und ihnen das nötige Rüstzeug für gelungene Verhaltensweisen und mentale Stärke mitgeben.

Wenig Theorie, lustige Rollenspiele und Entspannung

Der Grundkurs findet zweimal im Jahr während eines Quartals statt. Er ist freiwillig und richtet sich an Interessierte zwischen 12 und 19 Jahren. Das Kurskonzept basiert auf dem eines Sozialkompetenztrainings, wie es auch in Kinder- und Jugendpsychiatrien angewandt wird, ist aber auf die Bedürfnisse von Jugendlichen mit kognitiver Behinderung angepasst.

Jeweils am Mittwoch um 17 Uhr kommen vier bis sechs Jugendliche für rund eine Stunde zusammen. In der ersten Lektion besprechen Kursleiter Beat Schmid und Kursleiterin Carmen Bachmann mit ihnen die Regeln, etwa dass niemand ausgelacht und nichts weitererzählt werden darf. Danach folgen ein Einstiegsspiel und ein kurzer Theorieteil. «Wir widmen uns jedes Mal einem neuen Thema, etwa der Körpersprache, der Motivation und der Lebensplanung, den Gefühlen oder dem Umgang mit Konflikten», so Schmid. Er geht stets spielerisch an die Themen heran und fordert die Jugendlichen auf, selbst auch Inhalte beizusteuern. Mitmachen ist das A und O, und spätestens beim anschliessenden Rollenspiel wird Einsatz gefordert. Denn jetzt schlüpfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in verschiedene Rollen und üben das Gelernte in nachgestellten Szenen. Es geht darum, sich in einem geschützten Rahmen in eine realitätsnahe Situation hineinzudenken, zu überlegen, wie man agieren oder reagieren könnte. Und es geht darum, neue Verhaltensmuster auszuprobieren und einzuüben. Bestenfalls gehen die Jugendlichen gleich jene Themen an, mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert sind.

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Im Resilienzkurs fördern sie die sozialen Kompetenzen der Jugendlichen:
Carmen Bachmann und Beat Schmid.

Die 17-jährige Luisa (Name von der Redaktion geändert) hat vor Kurzem den Grund- sowie den weiterführenden Kurs in der Stiftung Bühl absolviert. Sie sagt: «Es ist mir schon immer leichtgefallen, auf Menschen zuzugehen. Im Kurs lernte ich, anhand der Körpersprache zu erkennen, obeine Person überhaupt Zeit und Lust hat, mir zu helfen. Vor allem die Rollenspiele haben mir Spass gemacht.» Manchmal entstünden beim Rollenspiel tatsächlich lustige Situationen, erzählt Schmid, manchmal bedürfe es aber auch viel Input der anwesenden Sozialpädagog:innen, das komme sehr auf die Tagesverfassung der Teilnehmenden an.

Stress kann ein Auslöser sein für mentales Ungleichgewicht. Deshalb räumen Schmid und Bachmann dem Thema Entspannung immer genügend Zeit ein. Sie stellen jede Woche eine andere Möglichkeit vor, wie sich die Jugendlichen entspannen können. Sei das ein warmes Bad nehmen, Musik hören, Sport treiben oder einen Tee trinken. Weshalb Zigaretten, Alkohol und weitere Suchtmittel nicht die
richtigen Zutaten für gute Entspannung sind, ist ebenfalls ein zentrales Thema im Kurs.

Nachfolgekurs zur Verinnerlichung

Damit die Kursteilnehmer:innen das Gelernte verinnerlichen können, hat Schmid kürzlich einen weiterführenden Kurs lanciert. In diesem wird vor allem geübt – und zwar hauptsächlich im realen Leben, in der Stadt. Nach einer kurzen Auffrischung der Inhalte aus dem Grundkurs besuchen die Teilnehmenden deshalb beispielsweise die Migros-Filiale und fragen nach Produkten, verlangen beim
Coiffeur eine Frisur-Beratung oder lassen sich im Schuhgeschäft die neuste Kollektion zeigen. «Wir begaben uns auch schon am Bahnhof in einen Bus und übten, zu fragen, ob man sich denn auf den freien Stuhl setzen dürfe»,erzählt Schmid. «Im zweiten Kurs geht es vor allem darum, zu lernen, wie man sich im öffentlichen Raum bewegt und dass man sein Recht, sich eben beispielsweise im Bus zu
setzen, auch einfordern darf.»

Lernen, für sich einzustehen

Menschen mit einer kognitiven Behinderung oder einer Lernschwäche sind gegenüber anderen Menschen oft sehr schüchtern. Sie sind es gewohnt, dass Eltern und Fachleute sich um sie kümmern und ihnen Entscheidungen abnehmen. «Mit den beiden Kursen möchten wir die Jugendlichen dazu ermutigen, sich mehr zu getrauen, ihre eigene Meinung zu sagen und sich insbesondere auch mal uns Sozialpädagog:innen zu widersetzen. Auch das üben wir regelmässig. Es ist wichtig, dass die jungen Erwachsenen ihr eigenes Leben mitgestalten und klar sagen, was sie wollen und was nicht», so Schmid.

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Sagen, was man will, und das eigene Leben mitgestalten – wer das kann, hat bessere Chancen, mental gesund zu bleiben.

Mit dem Übergang ins Erwachsenenalter müssen sich die Jugendlichen entscheiden, wie sie ihr Leben fortan gestalten möchten. Manchmal wollen sie unkonventionelle Wege gehen, dann müssen sie sich erst recht durchsetzen können. Manche müssen vielleicht irgendwann auch Bewerbungsgespräche führen. Andere wiederum werden weiterhin in einer Institution leben. Aber auch dort sollen sie sich trauen, ihre Meinung zu sagen und für ihre Lebensziele einzustehen.

Weil der Kurs den jungen Teilnehmer:innen manchmal viel abverlangt und es Mut braucht, sich an den Rollenspielen zu beteiligen, wird das Kursende entsprechend gewürdigt. Nach Kurs 1 übergeben die Organisator:innen die Diplome in einem feierlichen Rahmen an die stolzen Jugendlichen. Den Fortsetzungskurs feiert die Gruppe hingegen mit einem gediegenen Zvieri im Selbstbedienungsrestaurant – nachdem sich alle ihre Köstlichkeiten selbst organisiert und bezahlt haben. Darauf können sie stolz sein.

Stiftung Bühl

Die Stiftung Bühl in Wädenswil ZH setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche mit
einer kognitiven Behinderung oder einer Lernbehinderung ein möglichst selbstbestimmtes
Leben führen können. Sie fördert rund 100 Kinder im Kindergarten- und Schulalter in der Heilpädagogischen Schule. Zudem bietet sie betreute Wohngemeinschaften sowie eine therapeutische Wohnschulgruppe und Berufsausbildungen an.
www.stiftung-buehl.ch

Text: Regula Burkhardt
Fotos: Stiftung Bühl, ReBu

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