Wie Kindern mit
Autismus das Lernen
gelingt
Die Stiftung visoparents eröffnete im August 2023 die Sonderschule IFA (Intensiv-Förderung Autismus Zyklus 1) für Kinder im Autismus-Spektrum. Hauptlehrer Robert Rauschmeier und sein Team unterrichten die Kinder mit spezifischen Methoden. Hier gewährt er Einblick in den Schulalltag und zieht ein erstes Fazit.
Der Autor Johann Gottfried Herder sagte einmal: «Erziehung ist Beispiel und Liebe, sonst nichts. Kinder brauchen Wurzeln und Flügel.» Ein passender Gedanke, wie ich finde, den wir auch in der Schule IFA leben. Wurzeln meint in diesem Sinn ein Gefühl der Zugehörigkeit, Geborgenheit und Sicherheit. Der Index für Inklusion führt diesen Aspekt ebenfalls an erster Stelle auf: «Jede:r fühlt
sich willkommen.» Es ist eines unserer Ziele an der Schule, eine geborgene, sichere sowie unterstützende Gemeinschaft herzustellen. Nur wer sich sicher und geborgen fühlt, ist bereit, Neues zu lernen. Mit den Flügeln meint Herder, dass wir Menschen befähigen sollen, Kompetenzen zu entwickeln, die sie für ihr Leben brauchen. In unserer alltäglichen Arbeit lassen wir dies mit einem
pädagogischen Dreiklang ertönen: Die Kinder zum Lernen einladen, ermutigen und inspirieren. Gerne nehme ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mit auf einen Einblick in unseren Unterricht.
Gut durchdachtes Angebot
An der Schule IFA arbeiten wir in einem Team aus fünf Personen: einem Schulischen Heilpädagogen, einer Sozialpädagogin, einer Fachperson Betreuung mit dem Schwerpunkt Menschen mit Behinderung sowie zwei pädagogischen Mitarbeitenden. Aktuell unterrichten wir sieben Schülerinnen und Schüler im Autismus-Spektrum. Der Unterricht findet sowohl am Vormittag wie auch am frühen Nachmittag statt und beinhaltet unterschiedliche Lernsequenzen. Den Kindern stehen dafür ein Arbeitszimmer, eine kleine Bibliothek und ein gemütliches Spielzimmer mit zahlreichen Spielsachen zur Verfügung. Wir bieten ihnen zudem verschiedene Materialien an, mit denen sie sich körperlich aktivieren oder sogar ganze Bewegungsbahnen bauen können. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Eine grosse Auswahl an Spielen ist ebenso vorhanden wie auch Musikinstrumente. Bei der Planung und dem Innenausbau der Schule IFA wurde nichts dem Zufall überlassen – so sind die Räume nach einem gut durchdachten Konzept eingerichtet und bedürfnisgerecht unterteilt. Schränke, Räume und Materialien sind jeweils sowohl mit Bild als auch Text beschriftet.
Jedes Kind wird individuell gefördert
Am Morgen, wenn die Kinder eintreffen, heissen wir sie in der Garderobe willkommen. Wir begleiten jedes Kind individuell, beobachten, welche Kompetenzen es bereits mitbringt, und schaffen die Voraussetzungen, damit weitere Fortschritte möglich sind. Xaver (Name geändert) zum
Beispiel konnte anfangs seine Schuhe zwar jeweils selber ausziehen, aber nur, wenn der Klettverschluss offen war. Damit der Junge lernt, auch den Klettverschluss selbstständig zu öffnen, kreierten wir hierfür extra didaktisches Material. Nach einigen Übungssequenzen überprüften wir, ob es Xaver nun gelingt, die Schuhe alleine auszuziehen. Doch die Aufgabe gestaltete sich nach wie vor schwierig. Es gelang Xaver erst, als die Begleitperson seine Hand in der Bewegung führte und ihn unterstützte. In einem weiteren Schritt nahmen wir deshalb zusätzliche Symbolbilder zu Hilfe, mit denen wir dem Kind die nächsten Handlungsschritte erklären und es so im Ablauf des Schuhe-Ausziehens noch besser unterstützen konnten.
Schule IFA
An der Schule IFA (Intensiv-Förderung Autismus Zyklus 1) werden Kinder mit Autismus im Grundschulalter unterrichtet. Durch spezifische Förderung erlernen sie unter anderem die Kompetenz, ihre Wahrnehmungsschwierigkeiten besser zu regulieren, sodass sie fokussierter lernen können. Die Schule IFA richtet ihr Angebot vorwiegend an Kinder, die kognitiv das Potenzial haben, in einer Regelschule erfolgreich unterrichtet zu werden.
Bei der Arbeit mit Kindern im Autismus-Spektrum verwenden wir konsequent mehrere kommunikative Hilfsmittel gleichzeitig. Dazu gehören etwa visuelle Hilfen wie Fotos, mit Bildsymbolen dargestellte Abläufe (Piktogramme von Metacom), Regeln und Auswahltafeln sowie mit bunten Klebestreifen markierte Bereiche. Auch arbeiten wir mit Gebärden nach Porta und mittels ausgeprägter Mimik, Alltagsgegenständen, Fühlmaterialien und vielem mehr. Und natürlich verwenden wir schliesslich auch die verbale, lautsprachliche Kommunikation. Diese multimodale Kommunikation, auch Unterstützte Kommunikation genannt, die über diverse Wahrnehmungskanäle verläuft, hilft uns, über mindestens einen Kommunikationskanal den Zugang zum Kind zu finden.
Immer gleicher Start in den Morgen
Der Unterricht startet immer im Morgenkreis. Hier kommen wir miteinander ins Gespräch, lernen und singen gemeinsam. Als Erstes schauen wir, wer alles da ist, kleben gemeinsam die Fotos der Anwesenden an die Tafel und nennen, wenn möglich, deren Namen. Einige der Kinder verfügen bereits über Lautsprache, andere zeigen auf das entsprechende Kind.
Nun singen wir einige Lieder und klatschen dazu in die Hände. Dazwischen üben wir Zählen, unterhalten uns über den aktuellen Wochentag, das Wetter und die Jahreszeiten. Mit einem weiteren Lied kommen wir in Bewegung, machen uns auf in das Spielzimmer, überqueren darin die Bewegungsbrücke, die beispielsweise aus Stühlen, Matten, Fühlscheiben und Tunneln besteht. Somit üben sich die Kinder im Klettern, Kriechen, Balancieren und Springen.
Lernen, Spielen und Singen wechseln sich ab
Beim reichhaltigen Znüni können die Kinder mit Hilfe von Piktogrammen auf ihren Kommunikations-tafeln nach den verschiedenen Lebensmitteln fragen. Danach machen wir uns an die TEACCH-Aufgaben. Es handelt sich dabei um ein eng strukturiertes Lernumfeld mit der Möglichkeit, kleinschrittig zu lernen und die Selbstständigkeit zu erweitern. Dabei ist es perfekt auf die Bedürfnisse von Kindern im Autismus-Spektrum zugeschnitten, denn es sind alle Abläufe so aufgebaut, dass sie von links nach rechts und von oben nach unten erledigt werden. Dies entspricht der Schreibrichtung, wie wir sie in unserem Kulturkreis kennen. Die Aufgaben haben einen hohen Aufforderungscharakter und sind so strukturiert, dass das Ende klar erkennbar ist. TEACCH-Aufgaben sind vielfältig: Die Kinder sollen beispielsweise Farben und Muster erkennen und zuordnen oder Reihen bilden. Sie können auch Themen zu Jahreszeiten, Tieren, Verkehr oder Zahlen und Buchstaben bearbeiten.
Zwischen den Lerneinheiten haben die Kinder, wie in der Regelschule auch, immer wieder Zeit, zu spielen und zu basteln. Beim Basteln sprechen wir vor allem Tätigkeiten an, die im Kindergarten wesentlich sind: schneiden, reissen, kleben, stempeln, fädeln, kneten, drücken und formen. Zum Abschluss des Vormittags treffen wir uns wiederum im Kreis und geniessen danach ein gemeinsames Mittagessen. Essen lernen ist in der Gruppe viel einfacher und die Kommunikation kann hierbei gut angeregt und geübt werden.
In der Mittagspause steht das Sich-Entspannen und Sich-Selberbeschäftigenkönnen im Fokus. Einige Kinder spielen ein Spiel für sich, andere befassen sich mit Büchern oder lauschen einer Geschichte. Wieder andere nutzen die Igelbälle, Gewichtsdecken, Kissen oder die Kauringe. In den Nachmittags-lektionen beschäftigen wir uns entweder erneut mit Lernmaterialien, besuchen den nahen Bauernhof oder wir nutzen die Räume der Kita Kinderhaus Imago, die sich im gleichen Gebäude befindet.
Gelingende Kommunikation ist wichtig
Das Lernen in der Schule IFA ist abwechslungsreich, bunt und anregend. Wir sind darauf bedacht, dass wir die sozial-emotionalen Kompetenzen, die Bewegung, Sprache und Kognition, abwechslungs- reich und ausgeglichen fördern. Wir legen den Fokus im Unterricht auf folgende drei Hauptaspekte: das sensorische Management, die Kommunikation und die Selbstständigkeit. Wir arbeiten darauf hin, dass die Kinder mit entsprechenden Hilfsmitteln und Strategien lernen, mit Reizen selbstständig umzugehen. Die Kommunikation ist immens wichtig, da sich verständigen und andere verstehen können den Zugang zu sich und anderen ermöglicht. Nebst der Lautsprache und Schrift kommen, wie bereits erwähnt, auch die Gebärdensprache sowie visualisierte und bildbasierte Kommunikationshilfen zum Einsatz. Punkto Selbstständigkeit wollen wir die Kinder befähigen, sich – wenn möglich – allein an- und auszuziehen sowie die Körperpflege, wie Hände waschen, zu bewältigen. Auch spielen und sich selber beschäftigen können sind Ziele, die wir anstreben.
Erste Erfolge zeigen sich
Wir beobachten, dass die Kinder bereits in den ersten Monaten Fortschritte gemacht haben. Sie haben, dank verlässlichen Alltagsstrukturen, an Sicherheit gewonnen, zeigen deutlich mehr soziale Interaktionen gegenüber Erwachsenen und untereinander. Auch emotional zeigen sie mehr Sicherheit und Stabilität, benötigen zum Beispiel weniger Hilfsmittel zur Beruhigung oder beruhigen sich generell schneller. Auch schulisch zeigen sich Erfolge: Die Kinder kennen bereits Buchstaben sowie Zahlen und haben ihre motorischen Fertigkeiten verbessert. Auch zeigen sie Interesse und haben eigene Ideen in kreativen Bereichen. Die individuellen Fortschritte eines jeden Kindes bestätigen und ermutigen uns in unserer täglichen Arbeit mit ihnen und zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Text: Robert Rauschmeier
Fotos: Regula Burkhardt, Vera Markus
Indikatoren und Fragenkatalog – Index für Inklusion (www.index-for-inclusion.org)
Mehr über Porta unter: https://tanne.ch/porta
Weitere Informationen: www.team-autismus.de/was-ist-teacch
Robert Rauschmeier
Sonderschule IFA
Robert Rauschmeier arbeitet als Schulischer Heilpädagoge und Klassenlehrperson an der Sonderschule IFA.