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Fokus: Wohnen

Wo Max zu Hause ist

Max’ Zuhause ist so gestaltet, dass er auch mittel- und langfristig gut darin leben kann. Dennoch wird er wohl einst ausziehen und seinen eigenen Weg gehen. Seine Mutter Marianne Wüthrich hofft, dass er dann ein eigenes, schönes Daheim findet, in dem er eine sinnvolle Beschäftigung hat. Sie geht die Zukunftsplanung derweil Schritt für Schritt an – auch mental.

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Wo Max
zu Hause ist

Max’ Zuhause ist so gestaltet, dass er auch mittel- und langfristig gut darin leben kann. Dennoch wird er wohl einst ausziehen und seinen eigenen Weg gehen. Seine Mutter Marianne Wüthrich hofft, dass er dann ein eigenes, schönes Daheim findet, in dem er eine sinnvolle Beschäftigung hat. Sie geht die Zukunftsplanung derweil Schritt für Schritt an – auch mental.

Als wir vor rund dreizehn Jahren mein Elternhaus übernehmen durften, machten wir erst mal Pläne, wie wir dieses alte Haus so umgestalten, dass es für unsere Bedürfnisse passt. Das Dach ausbauen, ein zweites Badezimmer, die Küche öffnen, damit wir Max nicht nur in Hörweite haben, sondern auch sehen, womit er beschäftigt ist. Überraschend ergab sich die Chance, auch das angebaute Haus
zu erwerben. Damit taten sich völlig neue Möglichkeiten auf. Der Architekt war gefordert, plante drauflos, wir diskutierten, zeichneten, verwarfen, starteten neu, ergänzten.

Entstanden sind vier moderne Wohneinheiten, welche alle ein gemeinsames Treppenhaus mit Lift haben, im Ansatz barrierefrei sind und Aussenflächen in Form von grossen Balkonen oder Garten haben. Das allermeiste würden wir noch immer gleich planen. Wir haben auf all unseren Stockwerken Zugang zu unseren Räumen – also quasi mehrere Wohnungstüren. So kann man mit dem Lift in den zweiten Stock fahren und gelangt über eine extra Wohnungstür direkt ins Schlafzimmer. Das brauchen wir selten. Und noch immer werde ich darauf angesprochen, ob wir das wegen Max so geplant hätten. Aber Max steigt selbstständig Treppen rauf und runter, sucht uns manchmal im Haus und navigiert dann forsch durch alle Räume. Als er kleiner war, ging er manchmal im gemeinsamen Treppenhaus auf Entdeckungstour oder spazierte bei unseren Nachbarn in die gute Stube. Aber uns war in der ganzen Planung klar, vielleicht schon auch wegen Max, dass Treppen ein fast unüberwindbares Hindernis sein können, und dass wir auch dem Neffen im Rollstuhl den Zugang zum Kinderzimmer ermöglichen wollten. Wir waren uns bewusst, dass bei uns auch ältere Menschen zu Besuch kommen möchten oder dass es schwierig wird, wenn sich jemand ein Bein bricht.

Ablösung ist für alle wichtig

Damals haben wir uns überlegt, ob Max vielleicht einmal in die kleinste Wohnung ziehen wird. So hätte er ein Stück selbstbestimmtes Leben und wir wären trotzdem in der Nähe, falls Unterstützung nötig ist. Im Hinterkopf hatten wir immer, dass die Flächen einmal umverteilt werden können, sodass ein Geschoss zusammengelegt werden kann, oder dass ein Generationenwechsel möglich ist.

Zurück zu Max. Er kann nicht allein wohnen, mindestens im Augenblick nicht, vermutlich nie. Das ist die fiese Realität, der wir uns stellen müssen, ob wir wollen oder nicht. Aktuell will er ja nicht einmal allein in einem Zimmer schlafen. Er braucht im Alltag viel Unterstützung, kann kaum unbeaufsichtigt sein. Er wird also eine Form von betreutem Wohnen benötigen. Geht es irgendwann ans Erben,
so wird Max ein Teil dieses Hauses gehören. Wie wir das regeln, wissen wir noch nicht. Max wird dann ein gewisses Vermögen haben, was dazu führen kann, dass er möglicherweise keinen Anspruch mehr auf Ersatzleistungen hat. Dieses Volljährigwerden ist ganz schön anspruchsvoll und ich stelle fest, dass ich noch nicht ganz durchblicke. Sicher ist jedoch, dass auch Max das Recht hat, sich weiterzuentwickeln, sich von uns zu lösen, eigene Erfahrungen zu machen, seinen Platz im Leben und Freund:innen zu finden. Und nein, so einfach, so abgeklärt, wie das tönt, ist es in Tat und Wahrheit leider nicht.

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Zuhause ist, wo man sich wohl fühlt.

Ein erster Schritt besteht darin, einen Arbeitsort, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Max arbeitet gerne, mag es, Resultate zu sehen. Er ist, wenn unterfordert und unausgelastet, oft ungeduldig und unausstehlich. Dieser neue Lebensort wird mittelfristig auch ein Wohnort sein, hoffentlich eine Art Zuhause. Auch wenn wir uns das früher anders vorgestellt haben, finden wir dieses Loslösen mittlerweile wichtig – für alle Beteiligten. Wir wollen auf keinen Fall damit warten, bis wir nicht mehr für Max sorgen können. Das machen wir lieber in unserem eigenen Tempo. Gleichzeitig wissen wir nicht, was Max darüber denkt, seine Kommunikation ist dürftig, beschränkt sich auf Bedürfnisse im Alltag. Oft müssen wir raten, reininterpretieren, analysieren. Im besten Fall schweigt er und lächelt.

Zwischen Angst und Zuversicht

Schwierig ist es für uns immer dann, wenn Missbrauchsfälle aus Institutionen an die Öffentlichkeit gelangen. Wenn irgendjemand seine Machtposition ausnutzt, jemand sich nicht wehren oder nicht aufbegehren kann. Unter Umständen auch Eltern und andere Bezugspersonen lange nicht merken, dass etwas schief läuft, das Leid, das dem Kind widerfahren ist, nicht benennen können, weil der betroffene Mensch keine Möglichkeit hat, zu erzählen. Dann bricht mein Mutterherz und ich muss gantief Luft holen und mich daran erinnern, dass das die Ausnahme ist, dass es da draussen viel mehr tolle, gute Menschen gibt, dass Max bei seiner Familie immer ein zweites Zuhause haben wird. Dann besinne ich mich darauf, dass wir Herz, Augen und Ohren stets offenhalten und wo nötig auch unbequeme Fragen stellen, damit es Max gut geht, egal in welchem Zuhause.

Text und Fotos: Marianne Wüthrich

Marianne-Wüthrich

Marianne Wüthrich
Autorin und Präsidentin der Stiftung visoparents

In dieser Kolumne schreibt sie über ihren Alltag mit Max (17) und den Zwillingen Tom und Leo (14). Max ist infolge des Charge-Syndroms mehrfach behindert und im Autismus-Spektrum.

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